E.S. GLAUBT AN LEBEN NACH TOD
Stimmen aus dem Jenseits
Physiker Ernst Senkowski glaubt an Leben nach dem Tod
Hamburger Abendblatt - 04.08.2010
Von Martin Häusler
Auch wenn Kritiker an seinen Thesen zweifeln: Vom Leben nach dem Tod ist der Physiker Ernst Senkowski nach 30 Jahren Forschung überzeugt.
Ernst Senkowski traut seinen Ohren nicht. Wie unter Schock spult er das Band zurück, um noch einmal zu hören, was gerade einfach so aus den Radiolautsprechern gekommen ist. Aber, doch, ja, das ist sie, kein Zweifel, das ist die Stimme seines Vaters. Sie hat diesen unverkennbaren ostpreußischen Akzent, den er auch in Hamburg nie verloren hatte. "Ernst Ottchen", sagt die Stimme klar und deutlich durch das dumpfe Rauschen des Senders, "Ernst Ottchen, mein lieber Pumuckl." Koseworte aus der Kindheit. Senkowski lehnt sich zurück. Er weint nicht, er heult. Minutenlang. Sein Vater ist vor 18 Jahren gestorben.
Es ist so etwas wie eine Initialzündung, dieser Moment im Winter 1977 unter dem Dach seines Reihenhauses. Der Physikprofessor macht in diesen Tagen noch zwei weitere Tests mit seinem Philips-Tonbandgerät und dem kleinen, handelsüblichen Radio. Bei dem einen habe ihn eine unbekannte Stimme über die Geburt des Kindes seiner Cousine informiert, bei dem anderen kann Senkowski einen sonderbaren Satz notieren, der ihm aus dem Äther zugerufen wird. Er weiß ihn heute noch auswendig: "Tote Menschen, Tote, die denken, können denken und dürfen sprechen." Senkowski, für seine 87 Jahre bemerkenswert agil, ist immer noch aufgeregt, wenn er davon erzählt in seinem mit Mineralien ausstaffierten Wohnzimmer im Mainzer Uni-Viertel. Aber noch einmal zurück zur Jahreswende 1976/1977.
Tage vor seinen ersten paranormalen Selbstversuchen hatte ein wissenschaftliches Streitgespräch im ZDF den rationalen Experimentalphysiker mit Lehrauftrag an der Fachhochschule Bingen auf die Jenseitsforschung gebracht. Da wurde doch tatsächlich behauptet, dass man über technisches Gerät, Radios, Fernseher, Telefone, mit der Seelenwelt in Verbindung treten könne. Der Hauptvertreter dieser These, der schwedische Künstler Friedrich Jürgenson, hatte exemplarische Tonbandaufnahmen angeblicher Stimmen aus dem Jenseits mitgebracht, wurde aber von den konservativen Diskutanten niedergemacht. "Ich schaltete unbedarft in diese Diskussion hinein und hatte den Eindruck, dass man Jürgenson nicht gerecht wurde", erinnert sich Ernst Senkowski. "Man hielt ihm entgegen, die Stimmen seien Einbildung, stammten von Polizeifunk oder Amateurfunk, während er immer wieder erklärte, dass er die Verstorbenen doch mit einer ganz individuellen Frage angesprochen habe und diese danach ganz konkret beantwortet worden sei." Der Einzige, der sich in der hitzigen Debatte neutral verhielt, war der Psychologe Hans Bender, der sich schon mit übernatürlichen Phänomenen beschäftigt hatte und konstatierte: "Diese Sache hier ist wichtiger als die Erfindung der Kernenergie." Was für ein Satz!
Senkowski beginnt zu grübeln in seinem Fernsehsessel. Diese Tonbandstimmen aus dem Nichts, die Unerklärbarkeit dieses Phänomens, das müsste einen Physiker eigentlich ärgern. "Das ist doch eine Herausforderung", entschließt er sich. "Was bleibt einem anderes übrig, als das selber auszuprobieren. Wozu ist man denn Experimentalphysiker? Die Theorie kommt hinterher." In den Folgejahren wird Ernst Senkowski zu einem der Pioniere der sogenannten Instrumentellen Transkommunikation, er lehrt, forscht, veröffentlicht. Heute, mit Ende 80, ist er sich sicher, eine der größten Fragen der Menschheit beantwortet zu haben: Der Tod ist nicht das Ende. Während der sterbliche Leib geht, gibt es tatsächlich etwas, das überdauert. Auch wenn er damit oft in die Kritik gerät und manche ihn für einen Esoteriker halten. Schon früh will Senkowski begriffen haben, dass die Wirklichkeit größer ist als die, mit der man ihn in Schule und Elternhaus vertraut machen will. Ernst Otto Senkowski wächst in Hamburg auf, in der Harburger Chaussee auf der Veddel. Der Vater arbeitet als Heizer bei der Bahn, ist Katholik, die Mutter, sehr viel gläubiger als der Vater, bestellt den Haushalt. Früher als alle anderen lernt Senkowski lesen, weil er die Fahrpläne der Hochbahn entziffern muss, um jeden Tag in die Innenstadt zur Schule zu fahren. Er ist ein guter Schüler, gleichzeitig ein sehr widerspenstiger. Kennt man Senkowskis Kindheit, kommt der Zufall für seine spätere Berufswahl nicht infrage. Kabel, Schrauben, Drehkondensatoren, Spulen, Detektoren, Lautsprecher, die Grundbauteile primitiver Telekommunikationstechnik sind sein Spielzeug. Ein Nachbar lehrt ihn zu löten, von seinem Onkel, einem Fernmeldetechniker, bekommt er dessen Handbuch sowie ausrangierte Radios, und der Vorsitzende des Hamburger Amateurfunkerclubs, Siemens-Ingenieur Rudolf Rapcke, bringt dem Sextaner zweimal pro Woche die Grundlagen von Funktechnik und Mechanik bei. Senkowski ist elf, als er in der Nachbarschaft seine eigene kleine Telefonanlage über die Dächer spannt.
Dem Mentor Rapcke verdankt Senkowski nicht nur die logischen Kenntnisse zur Sendetechnik. Er bildet auch die spirituelle-emotionale Seite des Schülers. Während die Nazis den Bestand der Hamburger Bücherhallen gleichschalten und zu Hause nur Bibel und Gesangbücher herumliegen, findet der neugierige Senkowski in den Regalen Rapckes neue Inspiration. "Darin standen Bücher, die in zwei Gruppen unterteilt waren: Parapsychologie auf der einen und östliche Philosophie und Religion auf der anderen Seite. Diese Bücher lieh ich mir aus." Und er verinnerlichte, dass das vom Katholizismus indoktrinierte Christentum und der abendländische Rationalismus den Menschen tiefe und grundlegende Einsichten in die Fragen des Lebens verwehrten. "Schon als Kind lernte ich neben der sichtbaren auch die unsichtbare Welt kennen. Ich wusste um die Ganzheitlichkeit des Lebens", sagt Senkowski. "Ich habe bemerkt, dass unsere Vorstellung von Realität unvollständig ist und der Ergänzung bedarf. Später wurde mir klar, dass alle Quantenphysiker, von Max Planck bis Werner Heisenberg, früher oder später spirituell oder gläubig wurden, weil sie erkannten, dass unserer materiellen Welt eine geistige übergeordnet ist."
Der Wehrdienst bringt Senkowski als Funker in die Ukraine, fürs Physikstudium bleibt er in Hamburg, Professor ist er in Mainz und Bingen, für die Unesco leistet er wissenschaftliche Aufbauhilfe in Kairo. Er startet eine klassische Karriere als Dozent, hält Vorlesungen, nimmt Prüfungen ab. Alles ganz normal. Bis er jene Sendung im ZDF sieht. Ende der 70er-Jahre ändern sich Leben und Mission des Ernst Senkowski radikal. Er wird zu dem deutschsprachigen Ansprechpartner in Sachen Jenseits. Seine Kollegen meiden ihn keineswegs. "Vielleicht spinnt der Senki", sagen sie. "Aber warum soll das denn nicht so sein."
Senkowski betreibt fortan Privatforschung. Labor und Büro sind sein Dachboden, wo er als Amateurfunker Dutzende Apparate unter Strom hat. Hunderte Stimmen aus dem Nirgendwo nimmt er in vier Dekaden auf. Mal antworten sie auf gezielte Fragen, mal kommen sie ungefragt. Mal sind es unbekannte Wesenheiten, die sich zu Wort melden, mal nimmt Senkowski eindeutig zuzuordnende Stimmen Verstorbener auf - wie im Falle seines Vaters. Mal sind die Botschaften völlig klar zu verstehen, mal müht er sich, einen Sinn in den vom Rauschen irritierten Durchsagen zu finden.
Heute sammelt Ernst Senkowski keine Stimmen mehr, aber er liebt es, Kostproben aus der Vergangenheit anzubieten. Dann sitzt er wie ein von seiner Eisenbahn begeisterter Junge unter der Dachschräge und führt einige Tonsequenzen vor. Zu den trödelmarktreifen Kassettenrekordern von einst hat sich ein moderner Apple-Computer gesellt. Die Universität von Bologna habe einmal das Phänomen der Tonbandstimmen untersucht und einen Vergleich vermeintlicher Sätze aus dem Jenseits mit welchen aus Lebzeiten der Betroffenen angestellt, streut Senkowski inmitten seiner Vorführung ein. "Die Analyse ergab eine Übereinstimmung von 98 Prozent."
Was hat Ernst Senkowski nun zutage gefördert in all den Jahren? Er hat ein wissenschaftliches Standardwerk zur Instrumentellen Transkommunikation veröffentlicht, gut. Aber was kann er darüber hinaus den Menschen zurufen? Können wir alle Ängste über den Tod beerdigen?
Er selbst lehnt das Wort "Beweis" ab. Er habe "Hinweise" gefunden. Hinweise dafür, dass es weitergeht nach dem Tod. Und sind es tatsächlich die Seelen, mit denen er kommunizierte? Senkowski fällt es schwer, diese Frage mit Ja zu beantworten. Dafür ist er zu sehr Physiker als Philosoph. Seele, das Wort gefällt ihm nicht, genauso wenig wie das Wort Geist. "Ich halte mich eher an den Begriff Bewusstsein", erklärt er. "Mir stellt sich nach all den Jahren die Sache so dar, dass Bewusstsein zeitlos existiert. Jeder Mensch hat einen Bewusstseinskern, der uns in jedem Moment lenkt und mit unserer Antenne, die wir Gehirn nennen, in Verbindung steht. Wenn wir sterben, zerfällt der materielle Körper, und wir sind dann nur noch Bewusstsein." Der materielle Körper existiere im Jenseits nicht mehr, beschreibt Senkowski.
Es scheine aber, dass es in Tradition biblischer und anderer spiritueller Aufzeichnungen einen zweiten, feinstofflichen Leib gebe, mit dem der Mensch nach seinem Abschied von dieser Welt Egoismus und Emotionen ablege. "Danach bleibt das reine Bewusstsein. Es ist beweglich, es ist nicht an Raum und Zeit gebunden", formuliert Senkowski eine mögliche Erklärung für die Stimmen und gesteht: "Ich forsche 40 Jahre lang und kann bis heute nicht sagen, was dahintersteckt. Ich bin sprachlich so programmiert, dass meine Begriffe nicht ausreichen."
Die große Frage ums Jenseits scheint also vorerst nur in einem Indizienprozess beantwortet werden zu können. Zeugenaussagen gibt es genug, die große Klammer bleibt noch aus. Ernst Senkowski zitiert bei dieser Debatte gerne aus Goethes "Faust": "Hat er die Teile in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band!" Genau das sei unsere Zeit, fügt er an. "Die Suche überfordert viele Menschen. Die meisten Wissenschaftler lassen die Finger davon, obwohl sie wissen, dass da etwas dran ist." So hält sich die Popularität Senkowskis in Grenzen. Skeptiker dominieren weiterhin die öffentliche Meinung.
Denkblockaden hielten uns ab vom Erkenntnisgewinn - auch über unsere Vergänglichkeit. Um diese Grenzen unseres Geistes zu umschreiben, holt der Physiker passioniert aus. "Wir filtern mit unserem Gehirn etwas aus einer Gesamtheit, die offenbar viel komplexer ist, die größer ist als das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Das ist mit einem Trichter vergleichbar, in den man oben eine Menge Heu hineingibt. Der Trichter wird immer enger, weshalb unten nur ein Halm herauskommt. Der entspricht dem Teil, den wir wahrnehmen. Und mit dieser kleinen Menge versuchen wir die ganze Zeit, alles zu erklären. Das ist unmöglich."
Die Beschäftigung mit dem Jenseits bescherte Senkowski ein anderes, breiteres Bewusstsein und damit vor allem Trost und Zuversicht. Kurz bevor seine Frau im Krankenhaus dem Krebs erlag, schickte sie ihn zum Mittagessen. Dann verließ sie diese Welt. Wenig später, erinnert sich Senkowski, ließ sie ihn als Erstes wissen, dass sie dort, wo sie jetzt ist, wieder gesund sei.
Martin Häusler - Hamburger Abendblatt - 04.08.2010
Siehe auch:
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